Nach den üblichen AR-15-Fragen alá „Welcher/s Hersteller/ Modell/ Kaliber?“ und „Welche Lauflänge?“ stellt sich als nächstes die Frage nach der Optik.
Um den Spannungsbogen direkt aufzulösen die ehrliche Antwort vorab: Es kommt drauf an.
Aber worauf wirklich? 3 Dinge: Einsatzdistanz, Schiessumstände, Budget - in dieser Reihenfolge.
Da ich mir sicher bin, dass Du als Leser zu 99% die Unterschiede zwischen LPVO und Rotpunkt/Magnifier kennst - hier nochmals die Definitionen
LPVO: Low Power Variable Optic
Zielfernrohr mit einer variablen Vergrösserung von 1x bis meistens 6x/8x, aka: „Drückjagdglas“)
Rotpunkt & Magnifier
Paralaxefreies Zielpunktgerät, welches den Punkt über eine Diode oder einen Laser in den Raum „projiziert“, dahintergeschaltete Prismenoptik mit fixer Vergösserung. Üblicherweise 3x oder 5x.
Also beim G3 hatten wir immer nur Kimme und Korn.
Mission dictates gear
Wann macht WAS Sinn? Um diese Frage ansatzweise adäquat zu beantworten lohnt ein Blick ins eigene Einsatzgebiet und die dortigen Distanzen.
Die Erfahrung zeigt, dass bei ca. 200m die magische Grenze liegt. Schiesst du regelmässig auf mehr als 200m, mit Zielen die ggf. noch schlecht zu sehen und aufzuklären sind und seltenst darunter, ist das LPVO der „way-to-go“. Auf diese Entfernungen geht es letztlich nicht nur um das bloße „lokalisieren“ sondern auch positive (=bestätigende) Identifzieren des Ziels. Beispiel: Auf 400m kann man mit Rotpunkt und Magnifier einen Stahlgong durch seinen Kontrast zur Umgebung lokalisieren. Wirklich den Gong „sehen“, einen reproduzierbaren Haltepunkt festlegen und wirkungsvoll beschiessen aber erst mit einem guten Glas - alleine aufgrund des Absehens.
Für den Sportschützen KANN das irrelevant sein, wenn er nie Personen oder Wild als valide Ziele ansprechen muss oder die Entfernungen bekannt und fix sind. Da Magnifier nicht die perfekte Glasqualität von modernen LPVOs haben, ist auch da gegebenfalls ein 5x-Magnifier einem LPVO in diesen Entfernungen unterlegen. Vergrösserung ist hier nunmal nicht alles. Mit Ausnahme von absoluten Legenden, für die gilt: „Shoot first, ask Questions later.“
Sind deine Schussentfernungen fast immer unter 150m und seltenst drüber – dann bist du mit der Rotpunkt/ Magnifier-Kombi besser beraten und kannst die Vorteile des Rotpunkts perfekt ausreizen. Denn eins werden LPVO niemals sein, auch wenn zahlreiche Hersteller das Blaue vom Himmel versprechen: Echte 1-fache Visierungen. Die Physik lässt sich nicht austricksen. Sehe ich beim Rotpunkt den Punkt, wird dort zu 99% (bei korrektem Haltepunkt) das Geschoss einschlagen, insbesondere bei niedrigen Entfernungen (und das mit deutlich weniger Trainingsaufwand.) Korrekte ausgeführte Grundlagen (korrekter Griff, korrektes Ziehen des Abzugs etc.) setzen wir der Einfachheit halber voraus.
Das ist beim LPVO unter anderem durch Parallaxe nicht automatisch der Fall. Schaue ich nicht perfekt durch die Optik, insbesondere unter Stress, in nicht-perfekten Anschlaghaltungen etc. wird das Treffen schwieriger. Allerdings sind die LPVO's beziehungsweise die „Eyebox“ (also der Raum, indem dass Auge sich bewegen kann, ohne Probleme mit der Paralaxe zu bekommen) da auch besser geworden. Die Eyebox vom Vortex Razor HD ist beispielsweise ein Traum. Nicht Rotpunkt-like, aber ein Traum.
Und um die Verwirrung perfekt zu machen: Die Eyebox von Magnifiern, besonders bei 5x und mehr Magnifiern, ist im Regelfall suboptimaler als die Eyebox von LPVO bei 1x. Das sollte man immer im Hinterkopf haben. Ein weiterer Punkt: Gute LPVO sind mehr und mehr erschwinglich geworden. Wirklich gute LPVO weit unter 1000€ sind heute keine Ausnahme mehr.
Und dazwischen?
Die Frage zwischen LPVO und Rotpunkt tritt meist bei Schützen auf, die zwei Entfernungsbereiche abdecken müssen. Wenn zum Beispiel mit derselben Waffe IPSC und Mehrdistanz gleichzeitig geschossen wird. Oder bei Jägern, die dieselbe Waffe sportlich als auch jagdlich nutzen wollen. Als Jäger sollte ich mir zudem folgende Fragen stellen: Reicht eine 3x- oder 5x Vergrösserung überhaupt, um Wild sauber ansprechen zu können? Oder macht ein Fernglas/Monukular mit 10x, 12x oder sogar 15x vielleicht sowieso mehr Sinn? Kann Ich mich wirklich aufs LPVO für korrektes Ansprechen verlassen? Man denke an das Schwarzwild und die berühmten Striche, gerade in der Dämmerung. Oder hatte Opa mit seinem urlalten Feldstecher, den er immer dabei hatte, vielleicht doch Recht? Letzteres gilt natürlich weniger, wenn du eine dezidierte Jagdbüchse mit 4-16x56 ZF hast. Komisch, wie hin und wieder alte Konzepte doch wieder relevant werden.
Eine weitere Tatsache sollte man im Blick haben: Bei Zielfernrohren hängt die Glasqualität sehr stark von der Mulitplikation der Vergösserung ab. Reguläre ZF und sogar Long-Range-ZF haben zumeist eine Multiplikation von 4-5 fach, selten 6x. (3-12x... → Multiplikator 4, 5-25x... → Multiplikator 5).
Mittlerweile sind bei LPVO 1-8x und sogar 1-10x Vergrösserungen am Markt erhältlich. Dies ist eine sehr neue Entwicklung. Aus gutem Grund gab es nie Zielfernrohre mit 5-50x56 oder ähnlichen Vergrösserungen. Vermutlich stammt diese neuere Marktentwicklung schlicht daher, dass LPVO's stark im Trend liegen und die Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau allgegenwärtig ist. Aus praktischer Erfahrung leidet ab Multiplikationen von 8x bei regulären Mittelrohrdurchmessern (30-34mm) das tatsächlich zu sehende Bild sehr stark.
Qual der Wahl
Das LPVO und die Rotpunkt/Magnifier-Kombo spielen Ihre grössten Stärken dann aus, wenn man sich die Umstände anschaut, unter denen geschossen werden muss. Habe ich immer eine 100%-ig perfekte Auflage? Bin ich vielleicht regelmässig dazu gezwungen, aus unangenehmen Haltungen zu schiessen? Wir kennen die Hochsitze, die von den Proportionen innerhalb der Kanzel definitiv für den Körperbau „Goliath“ gebaut zu sein scheinen. Schiesse ich demnächst sowieso mit Restlichtverstärkern, sollte Ich hier die Kompatibilität zueinander prüfen. Nicht jedes Rotpunkt hat Stufen für Nachtsicht, nicht jedes ZF eignet sich zur Nutzung mit Restlichtverstärkern.
Im Endeffekt hilft das folgende Schema
a) Brauche ich immer eine 1x-Optik und hin und wieder suboptimales 6x?
b) Brauche ich eine 6x/8x Optik und hin und wieder suboptimales 1x?
Money dictates the World.
Der letzte Punkt, der nicht zu vernachlässigen ist, ist das eigene Budget. Hier musst du unterscheiden, ob vom Einsatz der eigenen Waffe Leben abhängen. Bewusst frei formuliert, ist sowohl der Schuss auf Wild als auch ein eventueller Einsatz im Personen- und Selbstschutz gemeint. Denn es ist nicht weiter tragisch, wenn eine Optik nur zum Plinken genommen wird und dort versagt, oder ob tatsächlich ein Herz aufhören soll zu arbeiten.
Auch wenn LPVO immer günstiger geworden sind, so sind „Duty-Grade“ Optiken immer noch erst jenseits der 1000€ zu finden. Dass natürlich im GWOT auch Vortex Strike Eagle aus persönlicher Beschaffung zum Einsatz kamen ist unstrittig. Die Frage ist, ob das als Maßstab für eigene Entscheidungen gelten muss. Eine Kombo von „Duty-Grade“-Rotpunkt und Magnifier findet man allerdings schon unter den 1000€. Auch bereits beschafftes oder vorhandenes Material wie beispielsweise Wärmebildkameras kann hier beachtet werden. Doch die Reihenfolge bleibt: Erst der Einsatzzweck bzw. die Distanz, dann die Umstände, dann Moneten.
Persönliche Erfahrungen
Ich war lange Zeit ein grosser Verfechter von LPVO's. Und das, OBWOHL ich mit denen, die ich bisher nutze, nur suboptimal klarkam. Der Faktor der meist extrem guten Glasqualität der LPVO's sorgte immer für die Oberhand. Denn: Ziele müssen einfach nicht nur gesehen, sondern auch positiv identifiziert (oder: „angesprochen“) werden. Jedoch hatte ich bisher nur das Vergnügen mit den Magnifiern der günstigen Kategorien. Diese hatten, mit Ihren sehr engen Eye-boxen bzw. dem sehr kurzen Augenabstand, für mich nie das Potential, ein LPVO zu schlagen. Das änderte sich im Laufe des Schreibens des Artikels schlagartig. Durch Zufall bekam ich den einen oder anderen hochqualitativen Magnifier in die Hand und – da war sie: Die eierlegende Wollmilchsau. Zumindest fast. Für mein Profil (5% jagdliches, 95% dynamisches Schiessen auf 0-150m) und meine Augen gibt es keine schnellere & sichere Optik.
Und genau das ist der entscheidende Punkt: Auch wenn alle Punkte auf dem Papier für euren Einsatzzweck in die eine oder andere Richtung deuten – am Ende sind es eure Augen, die durchschauen müssen. Wagt also einen Blick über den Tellerrand.
Charlie out.
Weiterführender Link und Video
Eine extrem reichhaltige Artikelserie zum Thema Übergang von zivilen Produkten in die Käfige der US SOF.
Lucas Botkins Sicht auf die Dinge, inklusive direktem Vergleich seht ihr im folgenden Video.
Bilder: Alexander Roßmanith, Christoph Weber, Adrian