Präzision…Präzision ist quasi der Inbegriff des Schießens; das, woran Menschen denken, wenn man sie nach einem guten Schützen fragt. Geht man den nächsten Schritt und fragt dann danach, was Präzision bedeutet, so sehen Viele eine Scheibe vor sich bei der alle Schüsse dicht zusammen in der Mitte liegen. Dieses Bild von Präzision entspricht der Definition einer absoluten Präzision: Schüsse möglichst nah zusammen in der Mitte des Ziels! Klassisches Beispiel hierfür wäre der statische Luftgewehrschütze, der (mehr oder weniger ohne Zeitdruck) jeden seiner Schüsse möglichst nah ins Zentrum der Scheibe platzieren möchte. Je näher der Schuss an der Mitte, desto besser.
Der Schuss ins Schwarze, die Mitte gilt oftmals als Inbegriff von Präzision
RELATIVE PRÄZISION
Diese Art der Präzision gilt jedoch nicht in jedem Bereich der Schusswaffenanwendung. Vielmehr existiert daneben ein Bereich, den man als relative Präzision bezeichnen könnte. Im Gegensatz zur oben beschriebenen absoluten Präzision (absolut, weil absolute Messgröße die Entfernung der Schüsse vom Zentrum ist) steht die relative Präzision in einem relativen Verhältnis zur Größe des Ziels und der zur Verfügung stehenden Zeit. Einfach heruntergebrochen stellt sich die Frage: Wie schnell kann ich schießen um mein Ziel gerade noch zu treffen?
Diese Ausgangssituation stellt sich in sehr vielen Bereichen und unter völlig verschiedenen Vorzeichen dar. So existiert dieses Dilemma bereits beim Biathlonschützen, der „nur“ das Schwarze treffen muss und einen Schuss, der gerade so im Schwarzen ist, einem Schuss im absoluten Zentrum vorziehen würde, wenn er damit zwei Sekunden beim Schießvorgang spart. Ebenso gilt es u.U. aber auch im Bereich des Verteidigungsschießens, in dem der schnelle erste Treffer einen sehr hohen taktischen Vorteil bietet. Im Folgenden sollen daher die Grundlagen der relativen Präzision und die Möglichkeiten sowie die Grenzen des Zeitsparens aufgezeigt werden.
Dynamisches Schießen auf verschieden große Ziele in unterschiedlicher Entfernung und unter Zeitdruck verlangt vom Schützen eine etwas andere Herangehensweise an die Frage der Präzision
ZEIT IST PRÄZISION
Wenn man sich die Frage nach Schnelligkeit und Potential zum Zeitsparen beim Schießen stellt, so rücken insbesondere zwei Elemente der Schussabgabe in den Vordergrund: der Zielvorgang und das Abziehen. Der Grund hierfür liegt in der Natur dieser beiden Vorgänge. Beim Zielvorgang wird die Visierung in Einklang mit dem Ziel ausgerichtet. Hierfür müssen für ein perfektes Visierbild und eine optimale Ausrichtung auf das Ziel viele Informationen verarbeitet werden und ständig (kleine) Korrekturen vorgenommen werden. Dies kostet Zeit! Gleiches gilt für den Abzugsvorgang. Hier wird der Druck auf den Abzug unter größter Vorsicht stetig erhöht und versucht ohne jegliche Beeinflussung der Waffe den Schuss abzugeben. Auch dieser Vorgang kostet - wenn er perfekt ausgeführt werden soll - Zeit.
Wenn man nun diese Rahmenbedingungen auf das Problem der Relation von Zeit und Präzision anwendet, kann man (etwas provokant) fragen, wie schlecht (und damit zeitsparend) man beide Vorgänge durchführen kann, um gerade noch zu treffen. Eine absolute Aussage kann hierzu natürlich nicht getroffen werden, weil die tatsächliche Zeitersparnis sehr vom individuellen Schützen und dessen Fähigkeiten abhängig ist. Allerdings können die folgenden Punkte einen guten Anhalt geben, woran man arbeiten kann.
ZIELVORGANG
Beginnen wir mit dem Zielvorgang so müssen wir das oben genannte perfekte Visierbild durch ein unsaubereres aber noch akzeptables Visierbild (sog. acceptebale sightpicture) ersetzen. Akzeptabel bedeutet hierbei, dass das Visierbild weder in sich genau ausgerichtet, noch exakt in die Mitte des Ziel zeigen muss. Vielmehr darf es so „schlecht“ sein, dass man eben gerade noch das Ziel treffen würde. Dies hängt von der Größe des Ziels sowie der Entfernung ab. Die genaue Einschätzung welches Visierbild für welche Zielgröße und Entfernung ausreicht, ist sehr übungsintensiv und anspruchsvoll. Anfänger können sich herantasten, indem sie auf verschiedene Ziele mit unterschiedlich (un)sauberen Visierbildern schießen und prüfen, wann sie das Ziel gerade noch treffen.
Als grobe Einteilung kann man sich an folgendem Stufenmodell orientieren:
Stufe 0: Die Waffe wird vor die Augen gebracht und man schießt über die Silhouette der Waffe
Stufe 1: Man schießt über das Korn, aber ohne genaue Ausrichtung in der Kimme
Stufe 2: Kimme und Korn werden in Relation zueinander gesetzt, aber die exakte Ausrichtung und die Lichtspalte werden nicht beachtet; das Korn bewegt sich in der Kimme
Stufe 3: Kimme und Korn werden sauber ausgerichtet; der Lichtspalt links und rechts ist gleich, Kimme und Korn gestrichen auf gleicher Höhe
Ein nicht perfektes, aber akzeptables Visierbild mit dem der große Kreis in der Mitte des Ziels getroffen werden kann
Die bisherigen Ausführungen lassen sich 1:1 auch auf die Verwendung von Rotpunktvisieren übertragen. Allerdings muss man hier das Visierbild etwas anders definieren, weil quasi nur eine Ebene, nämlich der Rotpunkt, existiert. Dennoch kann man auch hier verschiedene Stufen der Bestätigung bzw. des Visierbilds unterscheiden. Diese werden typischerweise an der Position des Rotpunkts bzw. dessen Bewegung dargestellt.
Das oben beschriebene Stufenmodell würde hier wie folgt aussehen:
Stufe 0: Die Waffe wird vor die Augen gebracht und man schießt über das Fenster des Rotpunktvisiers, jedoch ohne einen Punkt sehen zu müssen bzw. dessen Position zu prüfen (Ziele die größer sind als der Bereich, der durch das Fenster des Rotpunkts abgedeckt werden kann)
Stufe 1: Der Punkt blitzt im Fenster auf; er steht nie still und kann sich über die gesamte Größe des Fensters der Optik bewegen (Ziele, die maximal so groß sind wie der Ausschnitt des Fensters)
Stufe 2: Der Punkt schwebt im mittleren Bereich des Fensters, er kommt nicht zur Ruhe und ist in Bewegung, aber er bewegt sich in einem kleineren Radius und kontrolliert (der Bewegungsradius entspricht der Zielgröße)
Stufe 3: Der Punkt steht möglichst still und kontrolliert in der Mitte der Optik (präzise Punktschüsse)
Die Bewegungsmuster bzw. Bewegungsradien des Rotpunkts bestimmen das Maß an erreichbarer Präzision
ABZUGSVORGANG
Wenn wir die gerade beschriebenen Punkte auch auf den Abzugsvorgang übertragen, könnte man analog zu unserem akzeptablen Visierbild von einem akzeptablen Abzugsverhalten sprechen; also einer Art den Abzug zu betätigen, der gerade so unsauber (und damit regelmäßig schneller) ist um das angestrebte Ziel noch zu treffen. Leider ist hier nicht ganz so schön möglich die verschiedenen Stufen der Unsauberkeit wie bei dem Visierbild darzustellen, weil es hier ganz stark auf den Trainingsstand und die persönlichen Fähigkeiten des Schützen, sowie die verwendete Waffe/Abzugssystem ankommt, wie schnell und (un)sauber man Abziehen kann. Um eine grobe Orientierung geben zu können, kann man sich aber an folgenden Ideen orientieren:
Grundsätzlich besitzen die meisten Abzüge einen gewissen Vorweg bei dem wenig Widerstand aber viel Weg zurückgelegt wird. Es folgt dann ein Bereich, der einen kürzeren Weg umfasst, der aber mehr und spürbaren Wiederstand besitzt. Als letztes folgt ein Bereich in den nur noch sehr wenig Weg, dafür aber ein letzter hoher Wiederstand (sog. Wall) überwunden werden muss.
Wenn wir uns jetzt nochmals kurz veranschaulichen, dass wir je länger der Weg ist und je mehr Widerstand wir überwinden müssen, ein umso größeres Risiko für ein Verreißen des Abzugs und damit ein schlechtes Abkommen besteht, macht es Sinn, dass man für einen möglichst präzisen Schuss viel Weg und Widerstand im Vorfeld überwindet und dann quasi nur noch den letzten kleinen Rest und Wiederstand für die tatsächliche Schussabgabe überwindet. Das nennt sich im englischen „Triggerprep“ oder eingedeutscht „Abzugsvorbereitung“. Hierbei kann ich sehr feinfühlig Weg und Widerstand Stück für Stück überwinden und die Waffe bleibt im Ziel. Die Schattenseite dieses Vorgehens ist jedoch, dass es Zeit beansprucht. Möchte ich diese Zeit sparen und lässt die Größe meines Ziels einen relativ unpräzisen Schuss zu, kann ich im Umkehrschluss den vollen Weg und Widerstand auf einmal überwinden. Dies geht wie gesagt regelmäßig auf Kosten der Präzision. Wie groß die Einbuße an Präzision ist, kommt dann wie beschrieben auf mehrere Faktoren wie die Fähigkeiten des Schützen, den verwendeten Abzug, usw. an. Hier hilft es letztlich nur, dass der Schütze ein wenig experimentiert, also auf verschiedene Entfernungen und Ziele verschieden saubere Abziehvarianten und deren Präzisionspotential zu testen.
Als Richtschnur bietet sich an, die drei oben genannten Stationen des Abzugs als Startpunkt zu wählen:
Station 1: Man hat den Finger voll vom Abzug und überwindet in einer (schnellen) Bewegung den vollen Weg und Widerstand.
Station 2: Man geht an den Abzug und überwindet den ersten Widerstand und Weg bis zur Wall.
Station 3: Man versucht den Abzug zu 90 Prozent vorzubereiten und erhöht den Druck an der Wall bis zu diesem Punkt, bevor man sich dann stetig bis zum Auslösen des Schusses vorarbeitet.
Das Verhältnis von Kraft und Weg den man mit dem Abzugsfinger zurücklegen muss
Wie bereits beschrieben, kann aus den oben genannten Abziehvarianten noch nicht abgeleitet werden, wie präzise der Schuss letztlich wird, da dies eben eine sehr individuelle Sache ist. Es gibt viele Schützen, die extrem sauber und schnell über den vollen Weg und Widerstand des Abzugs schießen können. Entscheidend ist, wie schnell und ohne Spannung ich den Zeigefinger bewegen kann. Das ist letztlich eine Übungssache.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der sog. „Trigger Reset“. Hierunter versteht man den Vorgang, bei dem der Finger vom Abzug genommen wird und der Abzug wieder nach vorne geht bis er einrastet und dann (bei halbautomatischen Waffen) der nächste Schuss ausgelöst werden kann. Ein häufig zu sehender Fehler ist hierbei, dass der Schütze den Abzug zu lange hinten hält und ihn erst loslässt, wenn die Waffe mit dem Repetiervorgang komplett abgeschlossen ist. Deutlich hört man dann oftmals nach dem Schuss ein Klick (das Einrasten des Abzugs) und erst anschließend die erneute Schussabgabe. Hierbei sollte von Anfang an darauf geachtet werden, dass der „Trigger Reset“ während des Repetiervorgangs der Waffe durchgeführt wird. Nur so kann die Waffe sofort wieder schussbereit gemacht werden. Für schnelle Schussfolgen ist sogar das schnelle Loslassen des Abzugs viel kritischer als ein schnelles Ziehen des Abzugs.
ANWENDUNGSBEISPIELE
Im Bereich des dynamischen Schießens existieren viele Anwendungsbeispiele für die vorgenannten Überlegungen. Verschiedene Drills und Übungen erfordern vom Schützen genau die oben beschriebenen Fähigkeiten. Drei Beispiele hierfür zum Üben bzw. Ausprobieren sind der FAST Drill, der 3&2 Drill sowie der 15-10-5 Drill.
Beim FAST Drill schießt der Schütze aus dem Holster heraus auf eine Entfernung von 7 Yard zunächst zwei Schuss auf ein 5x3 Inch großes Rechteck. Nach einem Magazinwechsel folgen vier Schüsse auf einen darunter befindliche Kreis mit einem Durchmesser von 8 Inch. Eine gute Referenzzeit liegt bei unter fünf Sekunden. Hierfür wird der erste Schuss typischerweise nach 1,5 Sekunden und der zweite Schuss mit einer Splitzeit von 0,5 Sekunden nach insgesamt 2 Sekunden abgegeben. Der Magazinwechsel kann zwei Sekunden betragen und lässt anschließend Zeit für die restlichen vier Schüsse, die mit Splitzeiten von 0,2 bis 0,3 Sekunden abgegeben werden sollten. An diesem Beispiel sieht man deutlich, dass die Schüsse auf das kleine 3x5 Inch Rechteck sehr behutsam und damit relativ langsam abgegeben werden müssen. Der saubere Aufbau des Visierbildes und das präzise Abziehen sind nötig, aber kosten Zeit. Die vier anschließend abzugebenden Schüsse auf den 8 Inch Kreis kann (bzw. muss, wenn man die Zeitvorgabe halten möchte) dann mit einem etwas unsaubereren Visierbild und schnellerem Abziehen abgegeben werden.
Der FAST Drill
Der 3&2 Drill wird auf 3 Yard geschossen. Hier werden aus dem Holster heraus zunächst drei Schüsse auf eine USPSA A-Zone abgegeben. Direkt anschließend erfolgt ein Zielwechsel auf ein direkt darüber befindliches 3x5 Inch Rechteck. Eine gute Referenzzeit liegt bei zwei Sekunden. Hierfür wäre ein erster Schuss bei maximal 1 Sekunde notwendig. Die anschließenden beiden Schüsse sollten so schnell wie möglich mit Splits unter 0,2 Sekunden abgegeben werden. Anschließend sind für die beiden verbleibenden Schüsse 0,6 Sekunden übrig. Dies bedeutet Splits von 0,3 Sekunden. Die ersten drei Schüsse können hierbei aufgrund der kurzen Distanz und der Größe des Ziels sehr schnell abgegeben werden. Auf ein wirkliches Visierbild mit Ausrichtung über Kimme und Korn bzw. einem sauber sichtbaren Rotpunkt kann verzichtet werden. Im Moment des Wechsels auf das 3x5 Inch Rechteck wird allerdings ein Visierbild benötigt um sicher und wiederholbar Treffer zu landen.
Der 3&2 Drill
Zu guter Letzt sei noch der 15-10-5 Drill erwähnt. Hier werden auf die Distanzen 15 Yard, 10 Yard und 5 Yard jeweils zehn Schuss auf eine B-8 Ringscheibe abgegeben. Die Zeitvorgabe für die zehn Schüsse entspricht der Entfernung (also 15 Sekunden, 10 Sekunden und 5 Sekunden). Idealerweise sieht man bei den Treffern keinen Unterschied zwischen den unterschiedlichen Distanzen, weil die weitere Distanz über sauberere Abläufe (Visierbild und Abziehen), die durch die längere Zeit ermöglicht werden kompensiert werden kann.
Der 15-10-5 Drill
ZUSAMMENFASSUNG
Die Ausführungen sollen das typische Dilemma des praktisch dynamischen Schießens im Spannungsfeld von Zeit und Präzision beleuchten. Natürlich ist es möglich an vielen weiteren Stellen Zeit zu sparen bzw. schneller zu werden. Die hier näher betrachteten Bereiche (Visierbild und Abzugsvorgang) stellen jedoch die typischen zwei Bereiche dar, in denen Zeit effektiv gespart werden kann.
Text und Bilder: David und Tom von Greyground
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