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Skandal um die SIG SAUER P320 - was ist wirklich dran?

In den sozialen Medien ebbt die Schlagzahl rund um die SIG SAUER P320 nicht ab. Doch was ist dran an den Gerüchten?

Die Anfänge des P320-Skandals

Es begann alles hiermit: Die SIG SAUER P320 wird 2017 als Gewinner des "Modular Handgun (MHS) Contract Program" ausgewählt. Sie ersetzt damit die Beretta M9 als Standarddienstwaffe. Sie wird als M17 (Full Size-Version) und als M18 (Compact-Version) für das US-amerikanische Heer, später auch für andere Teilstreitkräfte, eingeführt. SIG Sauer setzte sich gegen Glock, Beretta und FN durch. Die Entscheidung war umstritten - besonders Glocks Angebot galt als technisch ausgereifter. Es kursierten früh Spekulationen, dass politischer Einfluss und Preisvorteile eine Rolle gespielt hätten. Viele Fachleute äußerten Unverständnis über die Entscheidung – insbesondere wegen der noch jungen Plattform P320 und mangelnder Einsatzreife im Vergleich zur bewährten Glock 19.

Die erste Kontroverse: "Drop Safety": Fallsicherheit.

Im Sommer 2017 tauchten die ersten Videos von P320 Waffen auf, die bei einem Fall auf die "Backplate" (also die rückseitig abschließende Platte hinter dem Schlagbolzen) selbstständig auslösten, ohne dass der Abzug durchgezogen wurde. Schnell brachen (berechtigte) Diskussionen aus - schließlich wurde die P320 gerade als Dienstwaffe für das größte westliche Militär beschafft. Und auch wenn beim normalen Sportschützen die Fälle, in denen eine geladene Waffe auf den Boden fällt, doch eher selten vorkommt, so wird bei den Behörden mit den Waffen doch eher.. "robust" umgegangen. Eine nicht existente Fallsicherung bedeutet grundsätzlich, im behördlichen Umfeld jedoch einen gravierenden, Sicherheitsmangel. 

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Screenshot aus dem ersten viralen Video von Omaha Outdoor. Das Video hat mittlerweile fast 600,000 Aufrufe. Quelle: youtube.com/omahaoutdoors

Der technische Hintergrund zur "Fallsicherheitsaffäre".

Objekte besitzen Masse, und Masse bedeutet Trägheit – also den Widerstand gegen jede Änderung des Bewegungszustands. Auch ein Abzug besitzt Masse und damit Trägheit. Der Abzug wurde so entwickelt, dass er sich unabhängig bewegen und frei bewegen kann. In den angesprochenen Falltests passierte folgendes: Durch die Abwärtsbewegung der Kurzwaffe im freien Fall bewegte sich auch der Abzug ein Stück nach hinten. Der sogenannte "Pre-Travel" wurde der P320 zum Verhängnis. Denn bereits schon nach wenig Vorweg "entsichert" die minimale Bewegung des Abzugs den Block der Schlagbolzensicherung. Doch nun kam die zweite Problematik: Die Fertigung bzw. die Fertigungstoleranzen der Schlagbolzensicherung. Konkret: Stanzen vs. Metallpulverspritzguss. Viele Teile an modernen (Kurz-)waffen sind gestanzt. Dies ist eine sehr präzise, jedoch auch teure Fertigungsart. Günstiger lassen sich dieselben Teile im Metallpulverspritzguss fertigen.

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Die erwähnte, problematische Schlagbolzensiccherung. Sie sollte, für höchste Festigkeit und beste Toleranzen eigentlich gestanzt werden. Aus Kostengründen entschied man sich laut Insidern jedoch für das MIM-Verfahren. Quelle: youtube.com/SIGMECHANICS

Im sogenannten MIM(Metal Injection Molding)-Verfahren können die Kanten von produzierten Teilen jedoch durch minimale Bläschen während der Fertigung Schwächen aufweisen, die dann abbrechen können. Die Folge: Schlechte Fertigungstoleranzen, minderwertige Kanten. Hier gilt: Ist ein Teil in einer der von Bläschen betroffenen Form gefertigt worden, brechen die Kanten definitiv aus und die Symptome werden über die Zeit schlimmer. Ist die Form nicht betroffen, halten die Teile. Aus internen Quellen wissen wir heute, dass, aus eben diesen Gründen die Schlagbolzensicherung als gestanztes Teil geplant wurde. Aus finanziellen Gründen entschied man sich jedoch für einen Metallpulverspritzguss. Viele P320 sind daher auch nicht von der Fallsicherheitsproblematik betroffen. Aber um zu wissen, ob die Sig Sauer P320 die man in der Hand hält, betroffen ist, müsste man sie komplett zerlegen und die Schlagbolzensicherung und Ihren Verschleißgrad analysieren - oder eben wissen ob die Form aus dieser Spritzgusscharge betroffen war oder nicht. Es ist hier also kein direkter, konstruktiver Mangel von der JEDE Waffe betroffen ist, sondern die ggf. minderwertigere Fertigung. 

Die Lösung des Problems 

SIG reagierte mit einem freiwilligen Upgrade-Programm für Besitzer der P320. Um die Masseträgheits-Probleme des Abzugs zu lösen, bot Sig Sauer seinen Kunden ein gewichtsreduziertes Abzugszüngel sowie eine optimierte Schlagbolzensicherung und Schlagbolzen.

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Schüsse "lösen" sich im Holster.

Doch es dauerte nicht lang und SIG SAUER stand erneut im Mittelpunkt kritischer Berichterstattung. Immer mehr Stimmen werden laut, die von sogenannten „ungewollten Schussabgaben“ sprechen. Konkret handelt es sich um Situationen, in denen sich ein Schuss löst, obwohl der Abzug gar nicht betätigt wurde. Besonders brisant: In mehreren Fällen sollen sich die Schüsse gelöst haben, während sich die Pistole noch im Holster befand. Was nach "urban legend" klingt, wurde durch dokumentierte Vorfälle und Videoaufnahmen, teils von Bodycams der betroffenen Polizeibeamten, bestätigt.

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Einer der bekanntesten Fälle: Das Polizeirevier in Montville, Connecticut. Mehrere Beamten stehen zusammen - auf einmal knallts. SIG SAUER spricht von einer nicht ordnungsgemäß geholsterten Waffe. Quelle: USACARRY.com

Bereits in den USA wurden Klagen eingereicht, Einsatzkräfte verletzt - und das Vertrauen in die Marke, einst bekannt für Präzision und Zuverlässigkeit, beginnt zu bröckeln. Die Reaktion im Netz folgte prompt: Memes, bissige Kommentare und zynische Posts verbreiten sich rasend schnell. Sie mögen unterhalten – doch im Kern steht eine ernsthafte Debatte über die Sicherheit der P320. Ob Polizist im Streifendienst, Soldat im Einsatz oder ziviler Träger: Wer eine Pistole führt, muss sich auf eines mindestens verlassen können – dass sie nur dann feuert, wenn es beabsichtigt ist. Mittlerweile gibt es Dutzende Klagen gegen SIG SAUER im Zusammenhang mit ungewollten Schussabgaben bei der P320. Die meisten Verfahren wurden frühzeitig durch außergerichtliche Vergleiche beendet. Ein besonders medienwirksamer Fall betrifft das Polizeirevier Montville. Hier äußerte sich SIG SAUER öffentlich und führte den Vorfall auf einen „Anwenderfehler“ zurück: Die Pistole sei demnach nicht korrekt im Holster gesichert gewesen. Möglich - doch bisher nicht abschließend geklärt.

Was jedoch auffällt, wenn man das Gesamtbild betrachtet: Die Häufung solcher Vorfälle ist ungewöhnlich hoch und steht in keinem Verhältnis zu vergleichbaren Problemen bei anderen modernen Dienstwaffen. In fast allen Fällen – etwa 19 von 20 – führt SIG SAUER menschliches Versagen oder unglückliche Umstände als Ursache an. Technische Mängel werden konsequent ausgeschlossen.

Die Fälle, die es dennoch vor Gericht schaffen, enden fast ausnahmslos mit einer stillschweigenden Einigung. Die Betroffenen unterschreiben Vertraulichkeitsvereinbarungen (NDAs), und die Öffentlichkeit erfährt selten Details. Damit bleibt die offizielle Linie des Herstellers bestehen: Es handele sich nicht um Produktfehler, sondern um unsachgemäße Handhabung.

Doch ist das wirklich die ganze Wahrheit? Oder liegt das Problem tiefer? Eine alternative Erklärung könnte in der Diskussion endlich Licht ins Dunkle bringen:

Die Demontagesicherung. (Takedown-Safety-Lever)

Immer mehr YouTube-Videos tauchen auf, die möglicherweise erklären, warum es bei der SIG SAUER P320 zu ungewollten Schussabgaben kommt. Der entscheidende Punkt dabei: In vielen dieser Videos lassen sich die Vorfälle reproduzieren. Und sollte der Grund, warum die Fehler reproduzierbar sind, der tatsächliche Grund für die ungewollten Schussabgaben sein, dürfte dies ein Desaster für den Waffenhersteller SIG SAUER sein. Doch der Reihe nach.

Ein wesentliches Merkmal der P320 – und zugleich eins Ihrer Alleinstellungsmerkmale im Markt der modernen Dienstpistolen – ist ihre modulare Fire Control Unit (FCU). Dabei handelt es sich um eine entnehmbare Feuerkontrolleinheit, die alle relevanten Bedienelemente wie Abzug, Sicherung und Mechanik auf einem kompakten Systemträger vereint. Diese FCU ist das waffenrechtlich relevante Bauteil und erlaubt es dem Nutzer, verschiedene Griffstücke und Verschlüsse mit ein und derselben Einheit zu kombinieren – ein Konzept, das Flexibilität und Individualisierung verspricht.

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Die FCU der SIG SAUER P320: Die Demontagesicherung ist mit einem schwarzen Pfeil markiert. Gut erkennbar ist die bereits nach dem ersten Skandal überarbeitete Version am skelettierten Abzugszüngel. Quelle: SIGSAUER.com

Innerhalb dieser FCU befindet sich auch die sogenannte Demontagesicherung – ein Bauteil, das verhindern soll, dass sich die Waffe bei eingestecktem Magazin zerlegen lässt. Von dieser Sicherung gibt es zwei Varianten: eine für Kaliber .357 SIG, .40 S&W und 9x19mm, und eine für .45 ACP sowie 10mm Auto. Beide Varianten ähneln sich optisch stark, unterscheiden sich jedoch in Details – insbesondere in ihren Abmessungen und Winkeln.

Und genau hier liegt ein potenziell sicherheitskritisches Problem: Der Demontagehebel der .45-ACP-Variante passt mechanisch auch in eine FCU für 9x19mm – obwohl er dort nicht hingehört. Wird der falsche Hebel im Werk montiert, lässt sich die Waffe äußerlich vollständig zusammensetzen. Doch intern "hebt" der größere Hebel den Verschluss leicht an der Rückseite an – was dazu führt, dass der Schlagbolzen nahezu vollständig aus der Schlagbolzensicherung gehoben wird. Bereits geringste Erschütterungen – etwa das Aussteigen aus einem Fahrzeug – können dann ausreichen, um den Schlagbolzen freizugeben und einen Schuss auszulösen. Doch auch bis heute ist nicht geklärt, ob dies wirklich der Fehler in den Werken von SIG SAUER ist, der zu den unzähligen Vorfällen führte.

Wenn diese Konstruktionsproblematik tatsächlich der Ursprung für einige der ungewollten Schussabgaben ist, stellt sich eine drängende Frage: Wie konnte es so weit kommen? Ein solcher Fehler müsste sowohl in der Logistik, bei der Werksmontage als auch in der Endkontrolle übersehen worden sein. Dass ein derart gravierender Mix-up zwischen inkompatiblen Teilen nicht nur möglich, sondern in Serie verbaut worden sein könnte, wäre ein ernstzunehmender Vorfall – und würde weitreichende Konsequenzen für Produktverantwortung, Qualitätssicherung und vielleicht auch für bestehende Waffensysteme bei Behörden nach sich ziehen. 

 

Headerbild: OMAHAOUTDOORS

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