Präzision und Genauigkeit – die Basics der Kurz-und Langwaffenausbildung

Nicht nur im Kontext des Schießsports spielen die Begriffe Präzision und Genauigkeit eine zentrale Rolle. Sie sind für Jäger und Berufswaffenträger von gleicher Bedeutung.

Nicht nur im Kontext des Schießsports spielen die Begriffe Präzision und Genauigkeit eine zentrale Rolle. 

Sie sind für Jäger und Berufswaffenträger von gleicher Bedeutung, doch was bedeuten diese Begriffe wirklich, und warum sind sie so entscheidend? In diesem Artikel tauchen wir tief in die Konzepte von Präzision und Genauigkeit ein und beleuchten ihre Bedeutung für das Schießen und Treffen ausführlich.

Präzision und Genauigkeit sind zwei Begriffe, die oft synonym verwendet werden, obwohl sie unterschiedliche Aspekte des Schießens (und Treffens) beschreiben. Ihre Bedeutung geht jedoch weit über einfache Definitionen hinaus, denn sie sind die Grundlage, auf der das gesamte Konzept des Schießens und Treffens aufbaut. Ohne ein klares, tiefes Verständnis für sie und die Fähigkeit, sowohl Präzision als auch Genauigkeit zu unterscheiden und zu erreichen, ist wiederholbarer, dauerhafter Erfolg sowohl im Schießsport, auf der Jagd als auch als Einsatzkraft sehr schwer zu erreichen.

Dieser Artikel richtet sich an jede Art von Schützen, also auch gleichermaßen an Jäger und Einsatzkräfte – denn für sie alle gelten dieselben Regeln der Physik, um ein anvisiertes Ziel zu treffen. Es gibt insgesamt viel mehr Gemeinsamkeiten, als Dinge die sie trennen – warum also künstlich Mauern bauen und unterschiedlich beleuchten, indem wir künstliche Unterscheidungen wie „sportliches Schiessen“, „ich schiesse jagdlich“ oder „taktisches Schiessen“ benutzen?

Ausbilder und alle, die sich für das Handwerk (denn es ist keine Kunst) des Schießens und Treffens interessieren, sollten nach dieser Lektüre ein ausreichend tiefgehendes Verständnis der Bedeutung von Präzision und Genauigkeit vermitteln können. Außerdem werden wir erläutern, wie man die notwendigen Fähigkeiten entwickeln und perfektionieren kann, um in jedem Anwendungskontext sicher und erfolgreich zu sein. Genauigkeit und Präzision haben nämlich auch etwas mit Sicherheit zu tun, denn wenn wir als egal welche Art von Anwender nicht das treffen, was wir treffen wollen oder treffen sollen, dann treffen wir etwas anderes – und das ist alleine schon mit unserem Sicherheitsanspruch und der Verantwortung, die wir tragen, nicht zu vereinbaren.

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Definitionen: Präzision und Genauigkeit

Was ist Präzision?

Präzision beschreibt die Fähigkeit eines Schützen, Schüsse konsistent an einer bestimmten Stelle zu platzieren – also wiederholgenau die 4 Grundfertigkeiten des Schießens auszuführen. Präzision ist unabhängig davon, ob die wiederholt getroffene Stelle das Ziel ist oder nicht, es geht dabei einzig und alleine um die Reproduzierbarkeit und Konsistenz der Schussplatzierung. Präzision bedeutet, dass die Schüsse eng beieinander liegen, selbst wenn sie nicht das Ziel treffen.

In der Physik und im Ingenieurwesen wird Präzision als Maß für die Streuung der Messergebnisse beschrieben – vereinfacht gesagt: die Größe eines Streukreises ist das Maß für die Summe aus Schützenstreuung und der Streuung des Materials (= Waffe + Munition). Ein präziser Schütze ist in der Lage, eine Gruppe von Schüssen eng zusammenzubringen, was wiederum der Beweis für ein hohes Maß an Reproduktionsfähigkeit des Regelkreises der Schussabgabe durch diesen Schützen ist.

Was verstehen wir unter Genauigkeit?

Genauigkeit beschreibt im Gegensatz zur Präzision, wie nah die Schüsse am oder im gewünschten Haltebereich liegen. Ein Schütze kann präzise, aber nicht genau sein, wenn alle seine Schüsse zwar eng beieinander liegen, aber weit vom Ziel entfernt sind. Umgekehrt kann ein Schütze zwar sehr genau, aber nicht präzise sein, wenn seine Schüsse zwar das Ziel treffen, aber auf dem Ziel (zu) weit voneinander entfernt sind (Beispiel: Schüssen landen auf einer Ringscheibe sehr gleichmäßig verteilt über den 8er bis 10er Bereich). Genauigkeit ist also das Maß dafür, wie gut oder schlecht ein Schütze das Ziel trifft: trifft er es gar nicht, ist er ungenau – trifft er es wiederholt, wo er es treffen will, dann ist er genau.

Präzision und Genauigkeit im Zusammenspiel

Das Ziel muss sein, sowohl präzise als auch genau zu treffen. Nur in diesem Zusammenspiel erreichen wir als Schützen – egal in welchem Anwendungskontext – das Ziel einer sicheren, weil präzisen und genauen Schussabgabe. Das bedeutet, dass unsere Schüsse im Zweifel eng beieinander auf dem Ziel liegen, wenn wir auf die gleiche Stelle schießen. Je größer unser Haltebereich, desto größer ist natürlich auch die akzeptable „Streuung“ bei einer multiplen Schussabgabe. Mangelnde Präzision rächt sich jedoch umgehend, wenn Ziele kleiner werden oder Distanzen steigen – daher ist Präzision die Basis von allem und sie nützt mir auch nichts, wenn ich sie nicht „genau genug“ ins Ziel bekomme. Die Kombination aus korrekt ausgeführten Grundfertigkeiten und einer korrekt auf die Flugbahn des Geschosses justierten Visierung auf der Waffe ist der Schlüssel für Genauigkeit und Präzision, egal mit welcher Art von Waffe.

Ein Schütze, der sowohl präzise als auch genau ist, hat also die Fähigkeit, eine Waffe so zu beherrschen, dass sie immer wieder aufs Neue das Ziel mit minimaler Abweichung trifft. Diese beiden Konzepte sind untrennbar miteinander verbunden und bilden die Grundlage für alles im Zusammenhang mit der Schussabgabe, unabhängig von ihrem Kontext.

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Genauigkeit und Präzision im jeweiligen Kontext

Schießsport

Im Schießsport geht es meistens darum, dass der Schütze vordefinierte und genormt große Bereiche wiederholt treffen muss. Ist seine Präzision nicht ausreichend gut für die geforderte Trefferzone, dann sind wiederholte Treffer reiner Zufall und wiederholbare Ergebnisse ausgeschlossen.

Im Langwaffenbereich bzw. auf größere Distanzen kann ein präziser Schütze leichter auf sich ändernde Bedingungen reagieren (z.B. beim Long Range Schiessen): Wenn sich die Umstände ändern, sei es durch unterschiedliche Entfernungen oder Wettereinflüsse, kann ein präziser Schütze durch Anpassung seiner Ausrüstung oder seines Haltebereiches dennoch konsistente Ergebnisse erzielen.

Genauigkeit ist das ultimative Ziel im Schießsport – enge Gruppen außerhalb der 10 bringen dem Schützen im Präzisionsbereich nichts und viele „Double Delta“ bringen dem Schützen beim IPSC Schießen ebenfalls keinen Vorteil. Es reicht also nicht aus, einfach nur präzise zu sein - der Schütze muss auch in der Lage sein, das gewünschte Ziel wiederholt zu treffen. Dies erfordert also ein Verständnis der Grundfertigkeiten und wie sie wiederholt korrekt auszuführen sind sowie eine korrekt justierte Ausrüstung.

Präzision und Genauigkeit auf der Jagd

Präzision hat im Kontext „Jagd“ die folgende Bedeutung: der Jäger ist in der Lage konsistente Leistungen – also wiederholbare Treffer in den relevanten Zonen seiner Beute - zu erbringen. Anders gesagt: er beherrscht sein Werkzeug wiederholgenau und kann sich auf seine Fähigkeiten bei jeder Schussabgabe verlassen. Dadurch kann er sich auch an veränderte Umstände auf der Jagd ohne weiteres anpassen, wie z.B. Lichtverhältnisse (Dunkelheit), Wind oder auch wechselnde Entfernungen.

Die Genauigkeit ist auf der Jagd genauso wichtig – wenn nicht sogar wichtiger – wie beim sportlichen Einsatz. Sie kann sogar „überlebenswichtig“ sein, denn ein präziser, aber ungenauer Schuss kann das Wild verletzen, ohne es zu erlegen, was sowohl unethisch als auch – bei wehrhaftem Wild - lebensgefährlich für den Schützen sein kann. Jäger müssen also in der Lage sein, auch unter schwierigen Bedingungen wiederholt sehr genau zu schießen und zu treffen. Die Fähigkeit, sowohl präzise (also wiederholbare) als auch genaue Schüsse (Treffen wohin getroffen werden soll) abzugeben, ist der Schlüssel zu einem erfolgreichen und waidgerechten Jagderlebnis. Präzision und Genauigkeit sind eine Bringschuld eines waidgerechten Jägers, egal mit welchem seiner Werkzeuge.

Präzision und Genauigkeit im defensiven Einsatz und für Einsatzkräfte

Für Einsatzkräfte und im defensiven Einsatz ist Präzision und Genauigkeit keine Frage von Leistung oder Erfolg, sondern eine Frage des Überlebens UND dem Vermeiden von Kollateralschäden.

Jeder abgegebene Schuss trifft irgendwo – auch der ominöse „Warnschuss“ trifft genauso, wie es Fehlschüsse tun. In hochstressigen Situationen müssen daher alle abgegebenen Schüsse also nicht nur mehrheitlich das Ziel treffen, sondern sie müssen ALLE präzise genug sein, um etwaige Kollateralschäden zu vermeiden. Dies ist – genauso wie bei allen anderen Anwendergruppen – nur durch ein

a)        tiefgehendes Verständnis der Grundfertigkeiten und

b)       die Fähigkeit der wiederholten, fehlerfreien Anwendung auf Kommando

zu erreichen.

Richtige Ausbildung und korrektes, zelgerichtetes Training sind hier – genauso wie Jägern und sportlichen Anwendern – der einzige Schlüssel zum Erfolg.

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Zwischenfazit

Ein präziser und genauer Schütze hat also die Fähigkeit, seine Schüsse so anzubringen, dass sie das Ziel wiederholt und ausschließlich im anvisierten Bereich treffen, selbst unter schwierigen Bedingungen. Dies ist sowohl für den sportlichen Einsatz entscheidend, als auch in Wettkämpfen, wie auch im defensiven Kontext und für den Jäger, wo das Verfehlen des Ziels ernstere Konsequenzen hat als nur ein fehlendes Loch in einer Pappscheibe.

Im Zweifel steht auf jeder „Kugel“ (auch wenn wir aus dem Alter Vorderlader heraus sind) ein Name und egal wie und wo, Fehlschüsse sollten nicht als akzeptables Ergebnis toleriert werden (sondern nur als Hinweis auf Fehler in der Ausführung, die uns helfen den Fehler zu identifizieren und zu eliminieren).

„The Indian or the arrow?“ - Die Rolle der Waffe für Präzision und Genauigkeit

Die Art und Qualität der Waffe spielt erstmal eine untergeordnete Rolle sowohl bei der Präzision, als auch bei der Genauigkeit. Natürlich muss die Waffe eine gewisse Mindestqualität aufweisen, d.h. sie muss es von der Konstruktion her ermöglichen präzise Schüsse abzugeben.

Ist der Lauf funktionsfähig und die Visierung korrekt auf die Flugbahn des Geschosses kalibriert, ist das Thema „Genauigkeit“ keine Unbekannte mehr. Der korrekte Einsatz der Visiereinrichtung sowie die zielführende Bedienung des Abzugsmechanismus beeinflussen jedoch ebenfalls sowohl die Präzision als auch die Genauigkeit und dies geschieht ausschließlich durch den Schützen.

Eine Waffe, die gut auf den Schützen abgestimmt ist, ermöglicht zwar unter Umständen eine Ausrichtung auf das Ziel und eventuelle eine bessere Kontrolle der Waffe beim Schießen, notwendig für Präzision und Genauigkeit ist so etwas wie ein „Maßschaft“ jedoch nicht. Wer die Grundfertigkeiten der Schussabgabe beherrscht, der kann sie an jeder Waffe ausführen und umsetzen.

Der Einfluss der Munition auf Präzision und Genauigkeit

Die Wahl der Munition hat speziell bei Langwaffen einen erheblichen Einfluss auf die Präzision und damit auch auf die Genauigkeit, speziell bei steigenden Distanzen. Hochwertige Munition, die speziell zu einer bestimmten Waffe passt, trägt wesentlich dazu bei, konsistente und genaue Schüsse zu platzieren.

Schützen sollten die Ballistik ihrer Waffe-Munition-Kombo verstehen und ihre Wahl entsprechend den spezifischen Anforderungen treffen. Dies gilt insbesondere für Wettkämpfe und Jagdsituationen, wo die Wahl der richtigen Munition über Erfolg oder Misserfolg entscheiden kann. Behördliche Anwender haben meistens keine Wahl, da sie mit standardisierter Munition ausgerüstet werden die zu den ausgegebenen Waffen passen sollte bzw. auf das jeweilige System abgestimmt sein sollte.

Fazit

Präzision und Genauigkeit sind die fundamentalen Bausteine des erfolgreichen Treffens. Sie sind die Basis, auf der alles andere aufbaut, und bestimmen maßgeblich den Erfolg eines Schützen, egal ob im Wettkampf, bei der Jagd oder auch im Einsatz.

Das Verständnis dieser Konzepte und ihre Umsetzung im Training sind unerlässlich, um als Schütze erfolgreich zu sein. Mängel in Präzision und Genauigkeit sind in der überwältigenden Menge der Fälle in fehlerhafter Ausführung der sogenannten „4 Grundfertigkeiten“ zu finden.

Schützen, die sowohl präzise als auch genau sind, haben die Fähigkeit, ihre Leistung wiederholt auf Kommando abzurufen, indem sie diese Grundfertigkeiten immer und immer wieder abrufen und fehlerfrei ausführen können. Die Fehleranalyse bei Fehlschüssen sollte bei den Grundfertigkeiten beginnen und sich nicht auf technische Komponenten wie Griff oder Stand beziehen. Wie die Grundfertigkeiten aussehen, wie wir sie trainieren und mit welchen technischen Elementen wir sie unterstützen können, das erfahrt ihr in den nächsten Artikeln.