Sicherheitstheater, Messerverbotspläne und Waffenrechtsverschärfung

Gesetze sind günstig - zumindest für die Politik. Doch undurchdachte Gesetze können schaden. Ein Kommentar von Prof. Dr. Stephan G. Humer.

Das Bundesinnenministerium hat mal wieder eine neue Verbotsidee für das Waffengesetz: 

Diesmal sollen die Messer kürzer werden. Führbar soll nur noch sein, was maximal sechs Zentimeter lang ist. Bisher liegt die Grenze für Messer mit feststehender Klinge bei 12 cm, viele weitere Messervarianten sind im öffentlichen Raum vollständig verboten, manche darf man sogar nicht einmal zu Hause haben. Auslöser der neuesten Idee ist, so die Politik, die steigende Zahl an Messerangriffen in der Öffentlichkeit, aber sicherlich spielen auch extremistische Vorfälle wie der Polizistenmord von Mannheim eine Rolle.

Ist diese Idee aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll, sprich: Wird sich die öffentliche Sicherheit durch so eine Maßnahme verbessern?

Die Antwort ist so einfach wie kurz: Nein. Das Ganze ist sicherheitstechnisch unsinnig. Wer heute ein Messer führt und damit zusticht, der macht dies in aller Regel nicht, weil das Messer ihn dazu verführt oder er eine pauschale wandelnde Gefahrenquelle ist, sondern weil das Angreifen mit einem Messer für ihn eine individuell sinnvoll erscheinende Vorgehensweise ist. Es gibt nun einmal Milieus, in denen das Messer als „Problemlöser“ zum guten Ton gehört, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik fasste es so zusammen: „Nach unseren Zahlen ist die Gewalt in Berlin jung, männlich und hat einen nicht-deutschen Hintergrund. Das gilt auch für Messergewalt.“ Sind also alle Männer und Frauen, die Messer führen, generell verdächtig, gar gefährlich? Genau das ist gerade nicht der Fall. Wir reden hier von einer vergleichsweise kleinen Gruppe, die aber für viele Schlagzeilen sorgt.

 

Okay, aber wäre ein komplettes Führverbot nicht noch besser?

Denn: Wer muss schon ein Messer führen, außer vielleicht ein paar Handwerkern oder Förstern? Was ist falsch an einem härteren, gar allumfassenden Verbot? Auch hier kann man sich kurz halten: Alles. Es ist undurchdacht, populistisch, unterkomplex, übergriffig und durchaus demokratiegefährdend. Undurchdacht, weil es nahezu alle Expertinnen- und Expertenbefunde ignoriert und an der völlig falschen, aber ideologisch gut passenden Stelle ansetzt. Populistisch, weil eine solche Gesetzesverschärfung medial schnell und gut rüberkommt, jedoch sinnvolle Lösungsansätze damit beiseiteschiebt. Unterkomplex, weil man an Symptomen herumzubasteln versucht, nicht jedoch an den Ursachen. Übergriffig, weil man – mal wieder im Waffenrecht, muss man an dieser Stelle sagen – auch alle Gesetzestreuen durch pauschale Komplettverbote trifft und bestraft. Und es besteht die Gefahr akuter Demokratiegefährdung, weil solche Politik nicht nur den verantwortlichen Parteien nur auf dem Weg in die Einstelligkeit hilft, sondern insgesamt für Verdruss sorgt und damit radikale Parteien stärken kann. Die Wählerinnen und Wähler sind nicht dumm, sie schauen beispielsweise nach London und beobachten die Folgen einer solchen Verbotspolitik: Das Messer wurde nach einem sehr umfangreichen Verbot in der britischen Hauptstadt als Tatmittel immer beliebter. Der eine oder andere kann sich mit solch Sicherheitstheater am Ende schlicht veralbert fühlen und später, an der Wahlurne, durchaus daran erinnern.

Dabei wären sinnvollere Maßnahmen zweifelsohne umsetzbar 

... und somit deutlich zielführender, allerdings nicht ideologisch gefärbt und medial wohl kaum so spektakulär („Harte Hand“, „Konsequentes Vorgehen“ etc. pp.) darstellbar. Dazu drei erste Ideen: Besonders wirksam gegen Messerstecher ist ein Waffenverbot. Richtig, ein Verbot – aber nur für diese eine rechtswidrig handelnde Person. Kurz gesagt wird ein allumfassendes Waffenbesitzverbot verhängt gegenüber demjenigen, der sich in diesem Bereich etwas hat zuschulden kommen lassen. Dass dieses Mittel wirkt, ist erwiesen – es wird nur nicht oft genug angewandt. Zweites Beispiel, allerdings etwas weniger zielgerichtet: Eine Altersgrenze. Auch wieder zugespitzt formuliert: Warum soll ich als Mittvierziger für die Taten von unreifen oder zugedröhnten Typen in ihren Zwanzigern büßen? Wenn man sich beim Schusswaffenerwerb (25 Jahre für Großkaliberkurzwaffen) auf so eine Grenze einigen konnte, warum nicht auch hier? Entsprechende Maßnahmen könnten so oder ähnlich aussehen: Unter 25 kein Führen von Messern jeglicher Art ohne psychologisches Gutachten, kein Führen von Taschenmessern durch Jugendliche, die nicht in Begleitung ihrer Eltern sind oder die keinen "Messerführerschein" gemacht haben o.ä. - ein im Grundsatz deutlich weniger invasiver Ansatz als ein Totalverbot, egal, wie die konkrete Maßnahme dann aussieht. Dritte Empfehlung: Deutlich mehr Prävention und klare Ansagen. Der Langfristerfolg liegt bei der Betrachtung von Gesundheit und Gewalterfahrung als Grund für den Messereinsatz in Konfliktsituationen. Hier sollten Behörden besonders genau hinschauen und gleichermaßen präventiv wie repressiv wirken.

Wo wir gerade dabei sind: Allgemeine Kontrollen in sogenannten Waffen- oder Messerverbotszonen sind ebenfalls unsinnig. 

Auch dies ist reine Show, wie man an den Fallzahlen klar erkennen kann. Diese werden zudem gern künstlich aufgebläht, indem jeder mitgeführte Schraubenzieher gezählt wird. Und anlasslose Kontrollen sollten in einer freiheitlichen Demokratie ohnehin so selten wie möglich auftauchen, bestenfalls nie. „Stop and Frisk“, eine äußerst unrühmliche Vorgehensweise des NYPD, spricht hier für sich, und zwar als klar abschreckendes Beispiel.

Wer jetzt (erneut) die Frage stellt, warum man überhaupt ein Messer mitführen muss, der diskutiert die falsche Frage. Es geht nicht um irgendein Müssen, es geht darum, dass man als Bürger/in eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats erst einmal frei in den jeweiligen Entscheidungen ist, sofern man niemand anderen schädigt. Was eine Schädigung ist und wie diese verhindert werden kann, sollte faktenbasiert, neutral und unabhängig festgelegt werden, allein schon aus Akzeptanzgründen. Das Waffengesetz ist im Kern ein Gefahrenabwehrgesetz, aber leider in den vergangenen Jahren in den Gedanken mancher Verantwortlicher immer häufiger ein Ideologieverstärkungsgesetz geworden. Eine dermaßen große Entfernung von Wissenschaft und Praxis wie in diesem Falle ist aber hochgefährlich fürs Gemeinwohl. Denn die Täter werden sich auch weiterhin kaum an entsprechende Verbote halten (Mord ist auch verboten und findet trotzdem statt, häufig mit Messern), die Bürgerinnen und Bürger hingegen werden flächendeckend weiter eingeschränkt und im Zweifelsfalle auf absurde Art und Weise kriminalisiert. 

Auch Oma Elfriede verstößt dann gegen das Gesetz, wenn sie mit dem zu langen Messer in der Kittelschürze zum Nachbarn am Ende der Straße geht, um beim Apfelschälen zu helfen. Und sie wird kein Einzelfall bleiben. Nervöse Polizeikontrollen mit Schusswaffe in der Hand, nur weil ein Autofahrer ein Brotmesser fürs Picknick im Seitenfach der Fahrertür liegen hat, sind eine gruselige Vorstellung. Es wurden schon Soldaten auf dem Weg nach Hause angehalten, weil sie ihr Bundeswehrmesser im Auto mitführten. Was haben all diese Menschen mit einem besonderen Milieu zu tun, in dem ein Messer als eine Art legitimer Meinungsverstärker angesehen wird? Ein Milieu, welches Gewalt - nicht Verteidigung - für ein probates Mittel im menschlichen Miteinander hält und in dem oftmals auch Drogen eine entsprechende Rolle spielen. Hier, in diesem Milieu, muss man ansetzen, wenn man nicht auch noch die letzten vernunftorientierten Wählerinnen und Wähler verlieren will. Alles andere ist gefährlicher Unsinn, nicht nur aus parteipolitischer, sondern auch und gerade aus gesellschaftlicher Sicht. Es wird Zeit für eine Rückkehr zur Vernunft im Waffenrecht. 

Dass von den Grünen diesbezüglich nichts anderes als pauschale Waffenaversion zu erwarten ist, ist keine Überraschung. Aber dass die SPD hier zunehmend irrlichtert, ist bedauerlich. Sozialdemokratische Sicherheitspolitik sah schon mal besser aus. Vielleicht sollte sich die SPD einfach mal etwas häufiger mit ihrem Koalitionspartner FDP unterhalten. Hier hält man nach Aussagen des zuständigen Abgeordneten und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Konstantin Kuhle wenig von den Ideen des Bundesinnenministeriums und setzt erfreulicherweise auf Kontrollen und Sanktionen im Rahmen des bestehenden Rechts statt auf neue Verbote.