Waffenrechtsdebatte: Hektik, Stille und ein kleiner Streit

Erst konnte es der Politik kaum schnell genug gehen, doch jetzt ist Stille: Das Sicherheitspaket der Ampel inklusive seiner umstrittenen Waffenrechtskomponente liegt auf Eis.

Wenn man früher in Diskussionen im persönlichen Umfeld das Wort "Waffenrecht" in den Mund nahm, war das Ergebnis beim Gegenüber oftmals nur ein staunender bis gelangweilter Blick.

Denn der Durchschnittsbürger fühlte sich hier nicht wirklich angesprochen. Doch angesichts der derzeitigen Debatten dürfte - und sollte - sich der Durchschnittsbürger inzwischen sehr wohl angesprochen fühlen, denn was die Bundesregierung sich bei diesem Gesetz so ausgedacht hat, betrifft nicht nur Eigentümer von Selbstladebüchsen und Schreckschusswaffen. Die Stichworte, die in der öffentlichen Debatte zirkulieren, sind inzwischen sattsam bekannt und haben es stellenweise sogar ins Feuilleton geschafft: Messerverbote, Waffenverbotszonen, Durchsuchungen ... Selten dürfte die deutsche Öffentlichkeit so intensiv über ein vergleichsweise so exotisches Gesetz diskutiert haben. 

Doch die Sicherheitsexperten - und da schließe ich mich dreisterweise einfach mal mit ein - sind sich weit überwiegend einig: Dieser Gesetzesentwurf taugt nicht viel. Nun ist im Entwurf nicht nur von Messern und Verboten die Rede, es gibt auch andere Komponenten jenseits des Waffenrechts, doch auf die möchte ich hier nicht eingehen. Wir schauen uns hier mal den aktuellen Stand der Debatte an und wie es weitergehen könnte, garniert mit einem frischen kleinen Streit, der vielleicht auch noch etwas größer werden könnte.

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Ein Buch, dessen wahres Aussehen kaum jemand kennt: Symbolbild Waffengesetz (Credits: Shutterstock.com)

Doch der Reihe nach: Wo stehen wir derzeit? 

Wie gesagt: Aktuell ruht das Vorhaben. Das kam durchaus überraschend, wurden zuvor doch enormer Druck und hohes Tempo entfaltet, um das Ganze in und durch den Bundestag zu bringen. Und nun? Keine neue Terminierung zum aktuellen Stand (25. September 2024) im Bundestagskalender. Also passiert jetzt, nach der ersten Debatte im hohen Hause am 12. September und der Diskussion auf fachlicher Ebene mit zahlreichen Sachverständigen im Innenausschuss am 23. September, erst einmal - nichts.

War es das schon?

Gut so, mag mancher denken. Also ist nun schon wieder alles vorbei, gehen wir zurück auf Null, ist keine Waffengesetzänderung mehr in Sicht? Davon sollte man lieber nicht ausgehen, vielmehr dürften verfassungsrechtliche Bedenken eine gewichtige Rolle bei der Verschiebung gespielt haben. Denn so sehr man sich - nachvollziehbarerweise - bei den Verbänden über die äußerst erfolgreiche Petition (wir berichteten) freut, die inzwischen über 100.000 Unterschriften und damit mehr als das Dreifache ihres Ziels verzeichnet (plus eine Menge Sympathien für die beteiligten Verbände mitgebracht haben dürfte): Diese dürfte nicht der primäre Grund für die Verschiebung des Vorhabens sein. Ja, so etwas bleibt freilich nicht unbemerkt, ebenso wenig wie ein Briefgenerator, der die Abgeordnetenbüros mit physischen Briefen flutet. Natürlich bekommen die Damen und Herren im Bundestag das mit und machen sich dazu auch ihre Gedanken. Doch viel schwerer wiegt die Frage, ob ein Gesetz vielleicht wieder "von Karlsruhe kassiert" wird, sprich: den Klageweg mit der Endstation Bundesverfassungsgericht nicht überleben könnte. Damit möchte ich niemandes Engagement schmälern, doch die parlamentarische Erfahrung zeigt, dass nicht besonders viel im Leben eines Gesetzgebungsverfahrens peinlicher und schlimmer ist als der frühe Tod durch Verfassungswidrigkeit. Dagegen verblassen die meisten anderen Aspekte.

SPD-Abgeordneter bestätigt rechtliche Bedenken

Der SPD-Politiker Dirk Wiese bestätigte dies dann auch heute im FOCUS. Das Paket müsse "rechtssicher" sein, und die Idee sei auch weiterhin, "dass wir das Paket so schnell wie möglich beschließen werden". Nun ist die Ankündigung des schnellen Beschlusses erst einmal nur genau das: eine Ankündigung. Es bleibt abzuwarten, was tatsächlich folgt. In diesem Monat, soviel steht fest, wird allerdings wohl nichts Entscheidendes mehr geschehen. Das Ganze geht mindestens in den Oktober, auf Wiedervorlage. Dass es weitergeht, dürfte somit feststehen. Doch wie es weitergeht? Offen. Änderungsbedarf gibt es auf jeden Fall genug, die Kritik der Waffenrechtsexperten war gleichermaßen eindeutig wie energisch.

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Inzwischen schwer verdächtig: ein beliebtes Alltagswerkzeug aus der Schweiz (Credits: Panwasin seemala / Shutterstock.com)

100.000 Petitionszeichner, Berge an Briefpost, zahlreiche heftige Medienbeiträge über Messer und Verbote, knallharte Sachverständigenaussagen - welche Aspekte brachten denn überhaupt solch Härte in die Debatte? Grob gesagt: Messer polarisieren nun einmal anders als Schusswaffen, Messer sind kein Nischenthema, und das nicht nur wegen der mit ihnen begangenen und medial vielfach aufbereiteten Straftaten und Klischeebilder, die dazu umhergeistern. Wer bei der (manchmal verkürzt geführten und ebenso grob rezipierten) Debatte plötzlich hört, dass man ihm sein Schweizer Taschenmesser verbieten wolle, der fühlt sich deutlich stärker angesprochen als wenn von Lauflängen und Gewehrfarben die Rede ist.

Messer betreffen uns schließlich alle, nicht nur Jäger, Schützen, Handwerker oder Sammler. 

Messer benötigen wir beim Essen im Biergarten, beim Pilze sammeln, beim Apfelschälen unterwegs, beim Öffnen von Paketen im Büro ... Die besondere Herausforderung ist hier, dass die Lebenswelten fließend ineinander übergehen. Wer mit dem Taschenmesser nach Feierabend nichtsahnend in eine Waffenverbotszone läuft, weil er das kleine Minimesserchen für total harmlos hält, der hat bei einer Polizeikontrolle unter Umständen ganz schlechte Karten. Wer in einen ICE steigt, sollte den Apfel vorher geschält haben, denn das "taktische Messer" könnte plötzlich Ärger bereiten. Anders als der private oder gewerbliche Schusswaffenbesitz und -gebrauch, welcher in der Regel in streng reglementierten und eher nicht ganz so häufigen Szenarien (Schießstand, Treibjagd, Geldtransport etc.) stattfindet, sind Messer überall. Wir haben sie in der Küche, im Hobbykeller, im Gastgarten, im Kaufhaus, einfach überall - auch am Gürtel, im Auto oder in der Tasche.

Sicherheitstheater statt sinnvoller Maßnahmen

Nun ist es nachvollziehbar, ja sogar dringend geboten, dass Politik Sicherheit herstellt - aber nicht um jeden Preis. Und genau hier knüpft die Kritik der Sachverständigen an: Was bringen Messerverbote und Verbotszonen gegen Taten wie den Polizistenmord von Mannheim oder den Anschlag von Solingen, gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität? Richtig, nichts. Dafür drohen nicht nur weitere allgemeine Einschränkungen, sondern auch entsprechende Kriminalisierungen. Und, etwas abstrakter gedacht, aber keinesfalls verkehrt: Man ebnet zugleich weiteren Verschärfungen den Weg. Dabei könnte man im Waffengesetz sicherlich etliche Passagen einfach streichen und Deutschlands Sicherheit würde keine Sekunde darunter leiden. Doch in diese Richtung wurde und wird leider nicht gedacht, stattdessen strotzt der aktuelle Entwurf nur so vor Verboten.

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Allein auf weiter Flur: Nicht alle Jagdfunktionäre schließen sich der Kritik am Sicherheitspaket der Ampel an (Credits: Shutterstock.com)

Dagegen haben sich zahlreiche Sport- und Jagdverbände geschlossen gewehrt, mit der bereits erwähnten Petition und korrespondierenden Pressemitteilungen - bis auf einen: Der Bayerische Jagdverband (BJV) scherte aus, mit dem bemerkenswerten Hinweis, dass Jäger gar nicht betroffen seien, denn für sie gäbe es ja Ausnahmen. Garniert wurde diese Exklusivmeinung mit einem Argument aus der "Niemand braucht ..."-Kategorie, welches in einer Stellungnahme zu diesen Äußerungen wie folgt zitiert wird: "Und seien wir doch mal ehrlich: Muss wirklich jeder mit langen Messern in der Stadt unterwegs sein?" Zum Schluß dann noch der Rat, "nicht „blind auf Kampagnen“ aufzuspringen, sich intensiv zu beschäftigen und dann zu positionieren". 

Dicke Luft in Bayern

Könnte man nun nicht sagen, dass der BJV da seiner eigenen Empfehlung nicht gefolgt ist? Natürlich, könnte man. Und jemand tat dies auch prompt, wie es aussieht: Anscheinend haben sich zwei Juristen des Verbandes in einem kritischen Brief gegen ihr eigenes Präsidium gestellt. Das Schreiben, welches inzwischen dank eines Hobbybloggers im Internet zirkuliert, endet mit der Bitte, die eigene Position nochmal zu überdenken. Dieser derzeit noch recht kleine Disput könnte in den nächsten Tagen weitere Wellen schlagen, wenn die Reaktion des BJV-Präsidiums den Briefschreibern nicht gefällt. Im Netz läuft sich der Shitstorm schon mal warm, Mitgliedern wird der Austritt aus dem BJV empfohlen und auch beim Social-Media-Diskursverstärker X (früher: Twitter) toben bereits einige Menschen aus der "Waffenbubble". Die Debatte dürfte mit Sicherheit in den kommenden Tagen und Wochen mit einer entsprechenden Lebendigkeit weitergeführt werden, nicht nur im Bundestag, sondern auch in den Medien und ganz besonders in den Vereinen, den Verbänden und an den (digitalen) Stammtischen der Republik. Es sieht nach einem spannenden Herbst aus - wir bleiben dran!